Alles Hühnersuppe, oder was? Vom wahren Wert der Ratgeberliteratur

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Alles Hühnersuppe, oder was? Vom wahren Wert der Ratgeberliteratur

Das gehört für uns zu jeder Reise nach Chicago dazu: Ein Besuch im Barnes & Noble Buchladen in der State Street. Als wir bei unserem letzten Besuch den riesigen Laden betraten, sprang uns direkt neben dem Eingang ein Sondertisch in Größe eines Flugzeugträgers ins Auge. Darauf ausschließlich Bücher aus der Reihe „Chicken Soup for the Soul“ von Jack Canfield – in gefühlten zweitausendfünfhundertdreißig Adaptionen.

Offensichtlich konnten weder Verlag noch Autor der Verlockung widerstehen, die erfolgreiche Marke „Hühnersuppe für die Seele“ in jede noch so kleine, aber geldversprechende Marktnische auszudehnen: Da gibt es „Chicken Soup“ mit herzerwärmenden Geschichten für Lehrer, Katzenliebhaber, Country-Music-Fans, Gefängnisinsassen, Frauen in der Menopause, Menschen mit Rückenbeschwerden oder Teetrinker – inklusive einer Tafel Schokolade mit Teegeschmack (!). Aus unserer Sicht fehlte nur noch die Sonderedition „Hühnersuppe für die Seele: Für Hühnersuppenliebhaber“ in der limitierten Geschenkbox mit einer Dose Geflügelsuppe. Aber vielleicht gibt es diese Ausgabe ja bereits und sie war gerade ausverkauft…

Eine beeindruckende Produktreihe mit über 200 Titeln, ein Beispiel für Upselling und Cross-Selling, bunt bis rührselig, und aus unseren eher nüchternen Augen besehen an Kitsch nicht zu überbieten.

“Don’t sweat the small stuff”

Nachdem wir noch fasziniert schaudernd vor dem Sondertisch standen, fiel unser Blick auf ein kleines unscheinbares Büchlein, das sich in die „Hühnersuppensammlung für die Seele“ verirrt hatte. Der Autor: Richard Carlson. Der Titel: “Don’t Sweat the Small Stuff and It’s All Small Stuff“. Als wir in dem Buch herumblätterten, stellten wir fest: So schlecht ist das ja gar nicht! Das Buch ist flott geschrieben und intelligent gemacht. Ein Ratgeber voller sympathischer und sehr geerdeter Ideen wie wir entspannter, gelassener und zufriedener leben können.

Die Empfehlungen des Autors sind so simpel, dass sie auf den ersten Blick fast schon banal erscheinen. Aber sie sind eben nicht banal, sondern regen zum Nachdenken an: „Hören Sie auf, andere zu unterbrechen oder ihre Sätze zu Ende zu führen.“ – „Das Leben ist nur ein Test, nichts weiter. Wäre dies das richtige Leben, hätte man Ihnen gesagt, wohin Sie gehen und was Sie tun sollen.“ – „Wohin Sie auch gehen – Sie sind schon da …!“ – Keine Frage, Carlsons Botschaften sind nicht neu. Das verspricht er auch nicht. Und das ist auch gar nicht wichtig: Es geht nicht darum, mit Hilfe der revolutionären, neuen lebensverändernden Glücklichmachformel – die es ohnehin nicht gibt – sein Leben von Grund auf zu verändern. Was wir viel dringender brauchen, ist, die Dinge des Lebens ein wenig in die richtige Perspektive zu rücken.

Stress durch Veränderungsdruck

Nun können Ratgeber mit Tipps, wie man in zehn Tagen mühelos schlagfertig wird, charismatisch wie Bill Clinton oder mit dem 30-Punkte-Sofort-Programm wieder in Jeans Größe null passt, nützlich sein. Aber das Problem aus unserer Sicht ist, dass sie ihren Lesern suggerieren, dass das Erreichen dieser Ziele von überwältigender Bedeutung wäre. Und genau das erzeugt Stress.

Vielleicht wäre es manchmal sehr viel besser, daran erinnert zu werden, dass wir auch ohne all diese Dinge ganz okay sind und das viele der „Probleme“, über die wir uns den Kopf zerbrechen, mit zeitlichem Abstand betrachtet, geradezu absurd erscheinen. Diese Erkenntnis kann von einem guten Ratgeber kommen, der unsere Perspektive auf die Dinge verändert. Oder durch eine Reise, ein gutes Gespräch mit einem Freund – also alles, was uns einen gesunden Abstand zu uns selbst gewinnen lässt.

Wirklich hilfreiche Bücher, Vorträge oder Seminare verändern nicht die Menschen. Sie verändern auch nicht die äußeren Umstände. Das bleibt alles gleich.

Was sie verändern: unseren Blick auf die Dinge.

Und manchmal kann das Zurechtrücken der Perspektive schon dabei helfen zu erkennen, welche Probleme wir nicht haben … Oder noch nie hatten …

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