Wir arbeiten gerade an unserem neuen Buch … Zwei Fragen, die wir am häufigsten hören: Wie heißt das Buch? Gefolgt von: Erzählt mal, wie ist das eigentlich, ein Buch zu schreiben?
Die erste Frage lässt sich schnell beantworten: Es gibt noch keinen. Der kommt erst in den nächsten Wochen, wenn das Manuskript steht.
Die zweite Frage lässt sich nicht ganz so schnell beantworten. Wie lassen sich eineinhalb Jahre Arbeit in eine Antwort mit ein paar Sätzen packen? Wir versuchen es dennoch: Schreiben ist der leichte Teil. Der herausfordernde Teil ist gleichzeitig der erste Prozessschritt: das tiefe Nachdenken. Mit manchen Problemen setzen wir uns wochenlang auseinander, bevor wir dazu ein paar vernünftige Sätze schreiben können – und wir haben das Glück, diese Reise zu zweit unternehmen zu können!
Das tiefe Einsteigen in einen Gedanken, die Suche nach dem Zugang und nach dem Verstehen ist vor allem dann absolut notwendig, wenn du anderen etwas erklären oder mitteilen willst. Denn du kannst nur dann etwas Relevantes schreiben, wenn du es selbst tief durchdrungen hast. Und noch etwas: Diese Reflexion ist immer auch Selbstreflexion. Zum Beispiel:
- Wenn wir über Experimente und den klugen Umgang mit Fehlschlägen schreiben, hilft es uns, selbst besser mit unseren eigenen Experimenten umzugehen, die nicht so funktioniert haben wie wir gehofft hatten.
- Wenn wir über die Notwendigkeit des Hinterfragens eigener Überzeugungen schreiben, hilft es uns, achtsamer zu sein, wenn wir selbst wieder dabei sind, es uns in unserem Gedankengefängnis wohnlich einzurichten.
- Wenn wir über Mut und Lust am Gestalten schreiben, hilft es uns, selbst couragierter an großen Ideen zu arbeiten und diese voranzutreiben.
Das Amazon Narrative Memo
Was wir deshalb hochspannend finden, ist, dass in den Führungskräftemeetings bei Amazon, in denen Entscheidungen getroffen werden, das „Narrative Memo“ zum Einsatz kommt. Der Grund, warum Amazon seine Topmanager solche Memos schreiben lässt, deckt sich mit dem Grund, warum wir Bücher schreiben.
Bei Amazon geht das so: Wenn ein Executive in einem Meeting, bei dem eine Entscheidung getroffen werden soll, etwas vortragen will, dann muss er oder sie vorher ein Memo verteilt haben, das auf maximal sechs Seiten erklärt, worum es geht.
Alle Teilnehmer bekommen dann 30 Minuten Zeit, dieses Memo zu lesen. Das Meeting beginnt also nicht mit einem mündlichen Bericht oder Ausführungen zum Tagesordnungspunkt, der besprochen und dann entschieden werden soll, sondern mit Schweigen! 30 Minuten lang lesen alle Teilnehmer des Meetings das Memo – erst dann beginnt die Besprechung.
Struktur, Präzision, Klarheit
An dieses sechsseitige Memo werden weitere Anforderungen gestellt. Es ist wie eine Dissertationsverteidigung aufgebaut:
1. Der Kontext oder die konkrete Frage, um die es geht.
2. Ansätze zur Beantwortung der Frage – durch wen, mit welcher Methode und mit welchen Schlussfolgerungen.
3. Inwiefern unterscheidet sich der gegenwärtige Versuch, die Frage- oder Problemstellung zu beantworten, von früheren Ansätzen? Oder ist er gleich?
4. Was ist der Vorteil für den Kunden und das Unternehmen und wie ermöglicht die Antwort auf die Frage innovative Lösungen für die Kunden?
Es gibt selbstverständlich auch bei Amazon gute und schlechte Memos. Ein wirklich gutes sechsseitiges Narrative Memo zu schreiben, ist harte Arbeit. Eine gute Struktur, Präzision und Klarheit zählen, und es kann verdammt schwierig sein, einen komplexen Sachverhalt auf maximal sechs Seiten zusammenzufassen! Deshalb erfordert die Vorbereitung und das Verfassen eines solchen Memos oftmals tagelange, intensive Vorarbeit.
In einer anderen Liga
Aber genau darum geht es! Diese Vorbereitung bewirkt zwei Dinge:
Erstens erfordert das Narrative Memo, dass der Verfasser oder auch das Team, das das Dokument verfasst, die eigene Argumentation wirklich gründlich versteht und tief durchdringt. Dazu müssen sie Daten sammeln, die eigenen Grundannahmen verstehen und in der Lage sein, sie klar zu kommunizieren.
Zweitens ermöglicht das Narrative Memo den Führungskräften, eine Problemstellung oder Herausforderung, mit der sie vielleicht nicht alle in der Tiefe vertraut sind, in 30 Minuten zu verinnerlichen und so zu durchdringen, dass sie Entscheidungen auf informierter Basis treffen können. Die anschließende Diskussion beginnt dann auf einem ganz anderen Niveau. Und wenn alles gut läuft, spielt dann am Ende auch die eigentliche Entscheidung qualitativ in einer ganz anderen Liga.
Das ist die Erkenntnis, um die es beim Narrative Memo geht: Schreiben bringt einen anderen Grad der intellektuellen Durchdringung als nur darüber zu reden. Sie fordert vom Autor mehr Gedankenarbeit und ist deshalb gründlicher durchdacht. Entscheidungsgremien kommen mit dieser Methode schneller zu besseren Ergebnissen, davon sind wir als Lernende, die sich schon seit knapp zwei Jahrzehnten im Schreiben komplexer Sachverhalte üben, überzeugt.
Ihr müsst weder Bücher, noch sechsseitige Narrative Memos schreiben – aber unser Vorschlag wäre: Wenn ihr vor dem nächsten Problemstellungsmeeting steht, bei dem ihr etwas Relevantes beizutragen habt: Schreibt vorher strukturiert auf, was ihr sagen wollt. Denn Schreiben schlägt Reden! Das gilt für den Videocall genauso wie für ein Meeting vor Ort.
Und wenn euch das Memo gut gelungen ist, dann überlegt doch einfach, es allen anderen Teilnehmern des Meetings vorher zu geben und darum zu bitten, es zu lesen. Und dann schaut einfach mal, was im Meeting passiert …