Auf der wilden Seite: Bottura, der Piratenkapitän

Sternekoch Massimo Bottura

Auf der wilden Seite: Bottura, der Piratenkapitän

Er gilt als radikaler Neuerer der italienischen Küche, ein Intellektueller, der den Beruf des Küchenchefs gewählt hat.

Die Rede ist vom Sterne-Koch Massimo Bottura, dessen Osteria Francescana in Modena 2016 zum besten Restaurant der Welt und 2017 zum besten Restaurant Europas gewählt wurde. Ein solcher Erfolg gelingt nur, wenn ihr nicht nur als Koch, sondern auch als Chef herausragend seid. Hier in diesem Video könnt ihr eine Ahnung davon bekommen, was Bottura so überdurchschnittlich und großartig macht.

Uns interessiert sein Führungsstil: Wie macht er das? Und das bedeutet im Kern immer: Wie geht er mit seiner Macht als Chef um?

Leadership-Guru Warren Bennis hat mal geschrieben: „Führung ist der weise Gebrauch von Macht. Macht ist die Fähigkeit, Absichten in Realität zu verwandeln und lebendig zu halten.“

Das klingt klug und richtig. Und klar ist: Jede Führungskraft, die nicht vollkommen auf den Kopf gefallen ist, versucht genau das. Aber die Art und Weise, der Führungsstil, die individuelle Herangehensweise, ist von Chef zu Chef verschieden.

In den mittlerweile zwei Jahrzehnten Zusammenarbeit mit Führungskräften aus den verschiedensten Branchen treffen wir immer wieder auf drei große, wiederkehrende Grundtypen von Führungsstilen: Meister, Teamworker und Herausforderer.

1. Führungsstil – Der Meister

Der Meister ist extrem gut in dem, was er macht. Er kann es einfach. Und er hat sehr hohe und genau definierte Erwartungen an seine Mitarbeiter. Er erwartet von ihnen ebenfalls Können. Notfalls greift er auch selbst zum Zeichenbrett, Computermaus, Schraubenschlüssel, Tranchiermesser etc. und demonstriert meisterhaft, wie es ausgeführt werden soll.

Wenn die Mitarbeiter an die Umsetzung gehen, kontrolliert der Meister die Zwischenschritte, um sicherzustellen, dass alles so läuft, wie er es sich vorstellt. Manchmal geht das sehr weit, je nachdem wie perfektionistisch der Meister ist. Und soviel ist sicher: Ist er ein großer Meister, dann ist er auch extrem perfektionistisch.

Die Mitarbeiter, die unter ihm arbeiten, gewöhnen sich daran, immer mit einem Auge auf den Meister und dessen Zustimmung oder Missfallen zu schauen. Ihnen sitzt dabei ständig die Furcht im Nacken, einen Fehler zu machen und ein Stirnrunzeln des Chefs zu entdecken. Und ein Fehler ist es ja schon, von der Route des Meisters abzuweichen oder bei der Ausführung der Aufgabe nicht exakt seine Erwartungen erfüllt zu haben.

Die Mitarbeiter konzentrieren sich darum auf das hundertprozentige Erfüllen der Erwartungen des Meisters und nicht darauf, die Arbeit an sich mit kreativem Denken auszuführen und vielleicht auch mal kritisch zu reflektieren und zu hinterfragen.

Keine Frage, ein solches Umfeld ist anstrengend: Perfekt nachmachen, was der Chef vormacht! Zweifellos aber können dort die Mitarbeiter vom Chef sehr viel lernen. Die Frage ist nur: Sind die Mitarbeiter mit ihrem ganzen Engagement dabei und schöpfen ihr volles Potenzial aus? Was passiert, wenn einer mal eine gute Idee hat?

2. Führungsstil – Der Teamworker

Der Teamworker dagegen will gar nicht, dass das Team es genauso macht, wie er vorgibt. Stattdessen will er, dass der Kunde rundum zufrieden ist – wie auch immer sein Team das schafft. Und er hat großes Vertrauen darin, dass seine Leute das schaffen. Das bedeutet aber kein Laissez-faire, sondern er ist klar in der Definition seiner Erwartungen, was das Ergebnis betrifft. Beim Wie, also in der Umsetzung der Aufgaben, haben die Mitarbeiter Freiraum.

Dieser fördernde und zugleich ermutigende Führungsstil kreiert eine entspannte und dennoch ambitionierte Arbeitsatmosphäre. Die Mitarbeiter fokussieren sich auf ihre Aufgabe und nicht darauf, stets die Erwartungen des Chefs zu erfüllen. Der Druck, die Aufgaben gut zu erledigen, ist intrinsisch (kommt also eher aus ihnen selbst), anstatt von außen durch die omnipräsente und kontrollierende Führungskraft (extrinsisch).

Ein solches Umfeld, das auf Teamwork und intrinsischen Antrieb setzt, ist durchaus leistungsorientiert und hat hohe Standards. Die Mitarbeiter wollen aus eigenem Antrieb etwas bewegen. Dabei unterstützen sie sich gegenseitig und sind stolz auf die Ergebnisse, die sie als Team erreicht haben. Der Chef schafft eine angenehme, freundliche Atmosphäre. Die Mitarbeiter arbeiten gern unter dem Teamworker. Die Frage ist nur: Schafft ein solches Team auch mal mehr als nur zufriedene Kunden? Können sie weltklasse, herausragende, überraschende, grandiose Ergebnisse schaffen?

3. Führungsstil – Der Herausforderer

Das Ziel dieses Typs Chef ist es, den Kunden zu überraschen, ja zu überwältigen. Einen Wow-Effekt zu produzieren. Ein Umfeld zu schaffen, dass es den Mitarbeitern ermöglicht, die beste Arbeit zu leisten, die sie zu leisten imstande sind.

Das geht nur, weil er darauf setzt, dass seine Leute auch experimentieren, kreativ sind und über die Grenzen ihrer Komfortzone hinausgehen. Im Umkehrschluss: Er fordert seine Mitarbeiter heraus, Risiken einzugehen. Er fordert geradezu Scherben, Fehler, Misslungenes ein, denn wenn das nicht passiert, haben die Mitarbeiter sich nicht aus der Sicherheitszone herausgewagt.

Ein solches Umfeld ist sehr anspruchsvoll – insbesondere für Menschen, die es gewohnt sind, in klaren Strukturen zu arbeiten und mit präzisen Weisungen ihre Aufgaben umzusetzen. So etwas gibt es beim Herausforderer nicht. Der Herausforderer ist zutiefst davon überzeugt, dass die besten Ergebnisse nicht in präzisen Strukturen entstehen, sondern dann, wenn Mitarbeiter Freiraum haben und ihre Talente, ihre Persönlichkeit und ihre Leidenschaft einbringen können. Und genau das fordert er von ihnen. Täglich. Er piekst und provoziert sie ständig, lässt sie nie in Ruhe. Das ist nicht einfach zu ertragen. Aber nirgends wird der gemeinsame Erfolg ausgelassener gefeiert!

Oops! Ich habe den Zitronenkuchen fallen lassen!

Wir outen uns hier ungeniert: Wir sind der Überzeugung, dass das durch einen Herausforderer geschaffene Umfeld der beste Nährboden ist, um die Kreativität, das Engagement und die Leidenschaft der Menschen zu kultivieren und freizusetzen und wirklich außergewöhnliche Ergebnisse hervorzubringen. Warum wir davon überzeugt sind? Weil wir es sehen – an dem Funkeln in den Augen dieser Menschen.

Massimo Bottura ist so ein Herausforderer. Und in den Augen seiner Crew glimmt dieses Funkeln. Alles in dieser Küche ist ein bisschen verrückt,  kreativ und gleichzeitig gibt es extrem hohe Standards und ein Weltklasse-Ergebnis.

Die junge Köchin Jessica Rosval sagt: „Als ich erst einige Monate dabei war und mich so langsam an diesen ganzen Stil hier gewöhnt hatte, stürmte Massimo eines Tages in die Küche und rief: Ok, Leute, neues Projekt für heute – Lou Reed, ‚Take a walk on the wild side‘. Jeder von euch kreiert jetzt ein neues Gericht! – Und ich dachte nur: Oh mein Gott!“

Die Energie, die pure Freude und die Begeisterung der Mitarbeiter unter diesem Herausforderer sind zum Greifen spürbar.

Als einer von Botturas Souschefs einmal im Eifer des Gefechts einen Dessertteller auf den Boden fallen ließ, machte er ihn nicht zur Schnecke, wie es vielleicht ein Meister getan hätte, er munterte ihn auch nicht auf, wie es ein Teamworker vielleicht getan hätte, sondern er forderte ihn dazu heraus, den zerstörten Zitronenkuchen trotzdem zu servieren. Heraus kam das mittlerweile weltberühmte Dessert „Oops! I dropped the lemon tart“ (Video) , das auch genauso aussieht und auf einem zerbrochenen und wieder zusammengeklebten Teller serviert wird. Ein garantiertes Wow!

Um nochmals Warren Bennis zu Wort kommen zu lassen: „Das beste, was eine Führungskraft für ein großartiges Team tun kann, ist, die Teammitglieder ihre eigene Größe entdecken zu lassen.“

PS: Dieses Foto gefällt uns ausgesprochen gut. Massimo Bottura trifft den 92-jährigen und immer noch aktiven Jiro Ono, über den wir hier geschrieben haben.

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