
Challenge-Netzwerk – Wo sind die Herausforderer?
Er forderte uns heraus. Und zwar massiv: „Nein, so läuft das nicht!“, sagte er.
Wir hatten ihn engagiert, einen Theaterregisseur, um uns zu unterstützen, nicht nur gute Vorträge zu halten, sondern sie auch wirksam zu inszenieren. Aber dieses Feedback zu unserer Kostprobe war wirklich nicht das, was wir hören wollten.
Wir stutzten, schauten ihn an und – jede Wette – in unseren Gesichtern war geschrieben: „Hey, sag mal! Was soll das?“
Aber das war ihm egal. „Wir müssen gründlicher anfangen!“, sagte er.
Und dann begann er mit uns zu arbeiten. Gründlich. Was die eigentliche Idee sei, die wir rüberbringen wollten, fragte er. Er machte uns klar, dass es nicht einfach nur darum ginge, Inhalte und Informationen bestmöglich zu übermitteln. Vielmehr müssten wir mit unserem Vortrag eine Saat pflanzen. Er sagte: „Wenn es euch gelingt, die Saat einer überzeugenden, für euch bedeutsamen Idee in die Köpfe eures Publikums zu pflanzen, dann habt ihr ein Geschenk von unschätzbarem Wert gemacht.“
Wir wollen das nicht hören!
Eine solche Herausforderung zu akzeptieren und ein solches Feedback anzunehmen, ist nicht leicht. Aber genau das bringt uns zu einem spannenden Punkt: Haben wir den Willen und die Offenheit, uns herausfordern zu lassen? Umgeben wir uns mit Menschen, die das kontinuierlich tun? Oder gehen wir den einfachen Weg und vermeiden das?
Es ist kein Geheimnis, wie wichtig es ist, genau diese Herausforderung zu suchen und daraus zu lernen, denn nur so können wir uns persönlich weiterentwickeln. Deshalb ist es eine extrem wertvolle Zutat für persönliches Wachstum und Erfolg.
Nachdem wir dreimal geschluckt und uns geschüttelt hatten, ist uns jedenfalls klar geworden, dass wir mit dem unbequemen Regisseur weiterarbeiten wollten, weil er unsere Selbstwahrnehmung durch seine profunde Fremdwahrnehmung konstruktiv ergänzt. Und das hat uns gleich zur nächsten Frage geführt: Wie können wir noch mehr solche Menschen in unser Leben holen, die uns konstruktiv herausfordern?
Das erinnerte uns an Adam Grant. Der Mann ist noch recht jung, unter 40, aber bereits seit sechs Jahren in Folge der bestbewertete Professor in der Wharton Business School der Universität von Pennsylvania, der ältesten und einer der renommiertesten Business Schools der Welt. Außerdem hat er es geschafft, mehrere New-York-Times-Bestseller zu schreiben: “Originals“, ”Give and Take” oder “Option B”, das er gemeinsam mit Sheryl Sandberg geschrieben hat.
In einem Podcast haben wir gehört, wie Grant von seinem Challenge-Netzwerk erzählte – und das hat uns elektrisiert!
Abstrakt gesprochen: Die Idee eines Challenge-Netzwerks ist, für sich selbst Unterstützung zu suchen, um wichtige und überfällige Selbstreflexionsprozesse anzustoßen, eigene blinde Flecken aufzuzeigen, Verbesserungs- und Entwicklungspotenziale offenzulegen und so eine Verbesserung des eigenen Verhaltens oder Vorgehens anzustoßen.
Konkret gesprochen: Ein solches Netzwerk besteht aus einer ausgewählten Gruppe von Menschen, die „dir sagen, was du nicht hören willst, aber hören musst!“
Aua. Das ist es!
Challenge-Netzwerk – Training für das Ego
Wir fanden die Idee so faszinierend, dass wir damit begonnen haben, uns auch ein solches Netzwerk aufzubauen. Wir stehen noch am Anfang – wie ein solches Netzwerk im fortgeschrittenen Stadium aussehen kann, lässt sich von Grant wunderbar lernen.
Wie geht er dabei vor?
Bei ihm ist das Challenge-Network zum einen eine regelmäßige Sache, zum anderen aber auch eine unregelmäßige Sache bei größeren Projekten.
Regelmäßig: Dazu lädt er seine studentischen Hilfskräfte ein, die bereits länger für ihn arbeiten. Er bittet sie, ihm über die nächsten Wochen so viel hartes Feedback wie nur möglich zu geben. Das ist wichtig: Den anderen einzuladen, das zu tun und dem Feedback-Geber auch zu sagen, welches Level an Feedback man hören will. Grant will gepusht und weitergebracht werden. Gleichzeitig ist er als Empfänger des Feedbacks darauf vorbereitet und kann mit soviel Offenheit und Neugier darauf reagieren, wie es ihm möglich ist.
Unregelmäßig: Gleichzeitig hat er aber auch ein Netzwerk von Challenge-Partnern, die er bei größeren Projekten einbindet, beispielsweise wenn er an einem neuen Buch arbeitet oder einen neuen Vortrag oder eine neue Podcast-Staffel entwickelt. Dieser Gruppe von Menschen zeigt er dann den Entwurf eines Kapitels seines neuen Buchs oder das Konzept für einen neuen Vortrag. Deren Aufgabe ist es, Grants Arbeit zu hinterfragen, Lücken oder Unklarheiten in der Argumentation zu finden, die Wirkung des Textes zu beurteilen.
Zwei Erkenntnisse haben wir daraus gezogen:
1. Wir brauchen sowohl ein Support-Netzwerk als auch ein Challenge-Netzwerk in unserem Leben.
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Das Support-Netzwerk: Das sind Menschen, denen wir vertrauen und an die wir uns wenden, wenn wir ein offenes Ohr brauchen oder Unterstützung möchten oder wo wir einfach mal Dampf ablassen können, wenn uns etwas auf der Seele liegt. Das können Menschen aus dem beruflichen Umfeld sein oder aus dem privaten Kreis.
Das Challenge-Netzwerk: Das sind Menschen, die uns sagen, was wir nicht hören wollen, aber hören müssen. Wichtig: Das sind nicht nur einfach Kritiker, die uns Verrisse um die Ohren hauen. Das wäre auf die Dauer destruktiv und entmutigend. Sondern sie sind uns wohlgesonnen und wollen, dass wir uns weiterentwickeln. Genau deshalb sind sie kritisch, zeigen uns blinde Flecken auf und fordern uns heraus.
Sicherlich wird es auch Überschneidungen zwischen diesen beiden Netzwerken geben – aber grundsätzlich erfüllen beide Netzwerke unterschiedliche Funktion in unserem Leben.
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2. Ein Challenge Netzwerk funktioniert nur, wenn wir positiv mit kritischen Rückmeldungen umgehen.
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Wir sind keineswegs Fans davon, immer ein offenes Ohr für jedes kritische Feedback – egal von wem – zu haben. Und wir raten auch niemandem dazu. Aber wenn wir die Leute in unserem Challenge-Netzwerk einladen, uns diese Rückmeldungen zu geben, dann müssen wir damit auch umgehen. Sonst funktioniert es nicht. Was uns dabei oftmals im Weg steht, ist das eigene Ego. Deshalb ist die Neigung bei so vielen Menschen so ausgeprägt, die Überbringer kritischer Botschaften aus ihrem Leben zu streichen – oder zumindest zu meiden. Oder eben erst gar nicht nach Feedback zu fragen.
Natürlich ist es einfacher, uns nur mit unseren persönlichen Cheerleadern zu umgeben, die uns zuverlässig Beifall spenden. Dort beschweren wir uns dann über Kritik und holen uns die Rückversicherung, dass wir diese eigentlich nicht verdient haben. Kann man so machen … bringt aber nicht weiter!
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Was haltet ihr von der Idee, euch selbst ganz systematisch und gezielt ein Challenge-Netzwerk aufzubauen? Auf jeden Fall aber: Umgebt euch auch mit Menschen, die euch herausfordern und die euch motivieren, besser zu werden! Sucht ihre Nähe, geht einmal im Monat mit ihnen essen, hört ihnen zu, lernt von ihnen und lasst euch von ihnen prägen!