
Wie die Fehlerkultur von Supercell Zombie-Projekte killt
Stell dir vor, dein Unternehmen hat eine Fehlschlagquote von über 90 Prozent bei Innovationen und das ist jedem von vornherein bewusst. All die monatelange Teamarbeit, der Entwicklungsaufwand und die Kreativität, die in die Produktideen fließen, und das alles zahlt sich nicht aus. – Hm. Das ist schon eine frustrierende Vorstellung, oder? Ein Alptraum, in einem solchen Umfeld zu arbeiten …
Die Leute, die für das finnische Unternehmen Supercell arbeiten, sehen das komplett anders! Denn bei ihnen läuft das genauso. Und genau so wollen sie es haben. Sie entwickeln sogenannte Free-to-play-Onlinespiele für das mobile Internet. Und für sie ist es der coolste Job der Welt.
Die spinnen, die Finnen!
Die hohe Fehlschlagquote ist dabei einkalkuliert. Sie erklärt sich erst einmal durch die Vielzahl von „Stolperfallen“: Code, Content, Server, 3rd-Party-Integration, Qualitätssicherung, Community-Management, Kundensupport – überall kann etwas schiefgehen. Und natürlich ist da noch das „kleine“ Problem, dass das Spiel bei den Usern einfach nicht ankommt.
Wenn Projekte von Haus aus so unsicher sind, würde ein gewöhnlich gestricktes Unternehmen vor allem extrem vorsichtig entwickeln und auf das setzen, was erfahrungsgemäß bei den Usern ankommt und sicherheitshalber diese von Anfang an einbinden. Der Fokus wäre darauf gerichtet, die Fehlschlagquote zu verringern und Schritt für Schritt immer mehr Projekte profitabel zu machen. Einverstanden?
Kann man so machen – das Problem ist: Sobald Unternehmen versuchen, die Zahl der Flops zu verringern, kommt der Innovationsprozess meist zum Erliegen. Der Schlüssel zu effizienter Innovation besteht darin, schneller zu scheitern, nicht weniger häufig.
Supercell setzt seit seiner Gründung vor zehn Jahren deshalb konsequent auf sogenannte Moonshots. Sie probieren mit hoher Geschwindigkeit hunderte von Ideen aus, für welche die Messlatte sehr hoch liegt. Wird diese nicht erreicht, wird die Idee beerdigt. Die Produkte, die die hohe Messlatte überspringen, sind innovativ und am Markt extrem erfolgreich. So machen sie die hohe Fehlschlagquote mehr als wieder wett.
Wir haben uns gefragt, wie es den Supercell-Entwicklern gelingt, Innovationsideen zu beerdigen und dabei nicht den Mut zu verlieren. Wie schaffen die das, mit den permanenten Enttäuschungen konstruktiv umzugehen?
Fehlschlagquote als Anlass zum Feiern?
Dazu braucht es eine starke Kultur, die die notwendige Risikobereitschaft, den Mut, die Ausdauer und den Durchhaltewillen bestärkt und belohnt. Und es braucht Entwickler, die nicht an „ihrem Baby“ festklammern und es gegen alle „bösen Kritiker“ verteidigen, sondern die bereit sind loszulassen. Oh, und es braucht Rituale! Kulturprägende Bräuche, die genau dieses Denken und Handeln immer wieder verständlich und greifbar machen.
Bei Supercell gibt es deshalb folgendes Ritual: Jedes Mal, wenn ein Spiel erfolgreich auf dem Markt gelauncht wird, kommen alle zusammen. Sie trinken gemeinsam Bier und feiern eine Party. Jedes Mal, wenn ein Spiel scheitert – beispielsweise, wenn es nicht in den App Store kommt – und das Unternehmen sich dazu entschließt, es einzustampfen, gibt es auch ein Ritual: Jetzt gibt es kein Bier, sondern es knallen die Sektkorken! Ein Hurra auf die Fehlschlagquote.
Das signalisiert:
- Das Projekt ist erledigt und wird „zu Grabe getragen“.
- Es ist Zeit, daraus zu lernen. Deshalb haben die Sektflaschen ein Blanko-Etikett, so dass die Lehren, die aus dem nicht erfolgreichen Projekt gezogen werden, draufgeschrieben werden können. CEO Ilkka Paananen sagt: „Wir sprechen einen Toast aus. Nicht auf das Scheitern selbst, sondern auf die Lehren, die wir aus diesem Scheitern ziehen.“
Mit Pauken, Trompeten und mit knallenden Korken gekillt
Paananen versucht alles zu tun, was er kann, um seine Leute zu motivieren, weiterhin risikofreudig zu sein und keine Angst vor dem Scheitern zu haben. Er sieht seine Aufgabe darin, dafür zu sorgen, dass die Mitarbeiter, die allesamt erfahrene Spieleentwickler sind, in kleinen „Zellen“ arbeiten und dort die Freiheit haben, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.
Insbesondere entscheiden die Entwickler selbst darüber, Spiele zu killen, die nicht weiterentwickelt werden sollen. Nicht der Big Boss entscheidet das, sondern die Entwickler selbst! Und die schauen ganz genau auf die Reaktionen der User, wenn die Games in kleinen Testmärkten in den Anwendungstest kommen. In anderen Worten: Die einzelnen Entwicklungsteams haben große Unabhängigkeit, aber tragen auch große Verantwortung.
Supercell selbst – der CEO und alle Entwickler gemeinsam – legen die Messlatte für die Qualitätsanforderungen sehr hoch. Sie wollen Spiele entwickeln, die Menschen jahrelang spielen. Das ist extrem anspruchsvoll und alles, was diesen Anspruch nicht erfüllt, wird konsequent, mit Pauken und Trompeten und mit knallenden Korken, gekillt.
Fehlschlagquote, Fehlerkultur und Zombie-Projekte
Okay, und was kannst du dir davon mitnehmen? – Zwei Dinge:
Zum einen wie eine Hochleistungskultur inklusive klugem Umgang mit Fehlschlägen funktioniert.
Zum anderen wie man sich von Projekten trennen kann, die nicht die Erwartungen erfüllen.
Über die erste Sache, die Lernkultur und den Umgang mit Fehlschlägen haben wir schon häufiger geschrieben. Hier zum Beispiel:
- Fehlerkultur – Null Fehler heißt null Verantwortung
- Dem Fehlschlag den Stachel ziehen
- Fehler-Report: Das habe ich versemmelt – und das gelernt
- Die Kosten-Nutzen-Ratio des Experimentierens
- Sicherheitszonen
- Was das Jonglieren uns fürs Leben lehrt
- Vier Wege ein Habitat zu gestalten, in dem Kreativität gedeiht
Deshalb knöpfen wir uns jetzt die zweite Sache vor: Sich von Projekten zu trennen, die die Erwartungen nicht erfüllen. Das klingt plausibel und ist auch schnell gesagt, aber in der Praxis ist das ein schwieriges Unterfangen.
Bei Innosight, dem von Clayton Christensen mitgegründeten Beratungsunternehmen, nennt man sie Zombie-Projekte.
Kill your Zombies!
Zombies sind Projekte, die aus den verschiedensten Gründen ihr Versprechen nicht einlösen und dennoch immer weiterleben und Ressourcen aufsaugen, ohne dass eine echte Hoffnung besteht, dass sie irgendwann einmal einen wichtigen strategischen Einfluss haben werden oder aber die zukünftigen Erträge des Unternehmens positiv beeinflussen werden. Warum bleiben solche Projekte trotzdem am Leben? Weil es irgendwann einmal als sinnvoll erachtet wurde. Weil die Führungsetage irgendwann einmal grünes Licht gegeben hat. Weil die Erfolgsprognosen irgendwann einmal zwar unsicher, gleichzeitig aber durchaus plausibel zu sein schienen. Weil der Zeitplan für die Entwicklung irgendwann einmal machbar erschien.
Aber im Verlauf der Zeit ist etwas passiert: Die Technologie funktioniert nicht wie geplant. Ein Wettbewerber tut etwas Unvorhergesehenes. Ein wichtiger Partner beschließt, nicht mehr mitzumachen. Die Anwender reagieren auf unerwartete Weise. Eine Krise wirbelt den Markt komplett durcheinander.
Die Mitglieder des Projektteams wissen, dass das, was passiert ist, nicht gut ist, aber es fällt ihnen schwer zu erkennen, wenn ein Projekt aus dem Ruder gelaufen ist. In der Psychologie nennt man das „Confirmation Bias“. Den Dingen, die wir erwarten, schenken wir Aufmerksamkeit und die Dinge, die wir nicht erwarten, ignorieren wir gern. Und selbst wenn uns Rückschläge bewusst sind, werden die guten Nachrichten hochgejubelt und die schlechten Nachrichten ignoriert. Das kann sich dann noch lange hinziehen und wenn es keinen klugen Umgang mit dem „Killen von Projekten“ gibt, geht irgendwann die Suche nach dem Schuldigen los – anstatt den Stecker zu ziehen und die Ressourcen anderswo einzusetzen.
Supercell liefert ein cooles Beispiel, wie das besser geht: Mit Sekt und einer Party wird die Aufmerksamkeit nicht weggelenkt von den Zombies, sondern hin zu den Zombies, um sie zu erkennen und dann zu dichtzumachen.
Das ist übrigens gerade jetzt, in den Niederungen der Wirtschaftskrise nach den Corona-Maßnahmen eine große Chance: Jetzt ist die Zeit, um auf Zombie-Jagd zu gehen! Es wäre Wahnsinn, sie nicht zu killen!