Warum Kümmerer Verkümmerte produzieren!

Hilflosigkeit

Warum Kümmerer Verkümmerte produzieren!

Wir konnten ja gut verstehen, dass die beiden Kinder unserer Bekannten nicht bei uns (aus ihrer Perspektive öden und steinalten) Erwachsenen mit am Tisch sitzen wollten. Wir waren ja auch schließlich von ihren Eltern zum Abendessen eingeladen worden und nicht von ihnen. Fair!

Nur: Zwar aßen die zwei 17- und 19-jährigen Youngsters nicht mit uns zu Abend, dennoch waren sie ständig anwesend und wollten etwas von ihren Eltern:

– „Ich finde den Eierkocher nicht. Das nervt total. Wo soll ich denn noch überall suchen?”
– „Wie soll ich denn meine Hausaufgaben ausdrucken? Kannst du mal schauen … der blöde Drucker funktioniert schon wieder nicht.”
– „Ich finde meine Hose nicht. Was soll ich jetzt anziehen?”
– „Adrienne, die blöde Kuh, hat sich den ganzen Tag nicht bei mir gemeldet, obwohl sie es versprochen hat. Was soll ich machen?“

Was soll ich? Wo soll ich? Wie soll ich? … Du lieber Himmel! Was soll das?

Wir konnten uns einfach nicht unterhalten, wurden dauernd unterbrochen, das Tischgespräch blieb stecken, der Abend machte keinen Spaß. Und es war irgendwie peinlich. Es nervte.

Ach ja, und wer uns genervt hat, waren keineswegs die Kids! Nein, uns nervten die Eltern! Erstens, weil sie ihre Kids zur Unselbständigkeit erzogen hatten. Und zweitens, weil sie uns eingeladen hatten und uns dann wie Nebensächlichkeiten hinter ihren familiären Aufmerksamkeitsspielchen zurückstellten wie Topfpflanzen, die warten müssen, bis sie mit dem Gegossen werden mal dran sind.

Hilflosigkeit in Dauerschleife

Wenn ihr mal auf diese Soll-ich-Fragen geeicht seid, werdet ihr sie überall bemerken. Uns ging es jedenfalls so. Nicht nur in privaten Beziehungen, zum Beispiel zwischen Kindern und Eltern oder zwischen Partnern. Auch zwischen Chef und Mitarbeiter. Zwischen Coach und dem Coaching-Kunden. Zwischen Berater und Klient.

Was daran so nervig ist: Mindestens die Hälfte der Fragen, die in solchen Gesprächen aufkommen, sind schon mal gestellt worden! Und zwar nicht vor drei Jahren, sondern vor drei Wochen oder manchmal sogar erst vor drei Tagen oder vor drei Stunden.

Woran liegt das? Wieso stellen vernunftbegabte Menschen immer wieder die gleichen Fragen? Warum ist die Hilflosigkeit häufig so groß? Warum müssen Chefs immer wieder dieselbe Leier von ihren Mitarbeitern hören? „Chef, was soll ich …?“

Risiken und Nebenwirkungen

Wir versuchen uns mal an einer Erklärung. Zuerst aus der Perspektive des Fragestellers: Der hat die Antwort auf seine Soll-ich-Frage ja schon beim ersten Mal gehört. Dann hat er das Gehörte angewendet und damit sein Problem gelöst. Und dann? Dann hat er das Gehörte wie einen Nebelfetzen weiterziehen lassen, weil es über diesen speziellen Moment hinaus keinen Nutzen mehr für ihn hatte. Und wenn das Problem dann wieder auftritt, wird dieselbe Frage wieder ausgegraben, um die gewünschte Unterstützung zur Problemlösung zu bekommen. Hat funktioniert. Wird wieder funktionieren. Eigentlich ganz verständlich und nachvollziehbar.

Und extrem unselbständig! Hilflosigkeit in Reinstform!

Das vordergründige Problem liegt beim Fragesteller, der sich in bequeme Hilflosigkeit begibt, anstatt das Gelernte dauerhaft zu verinnerlichen, um künftig den Problemtypus, um den es ging, selber lösen zu können.

Aber das eigentliche Problem liegt bei demjenigen, der die Soll-ich-Frage beantwortet! Der Fehler liegt nicht beim Fragesteller derselben alten Fragen, sondern bei demjenigen, der immer wieder die Antworten auf dieselben alten Fragen gibt! Derjenige begünstigt und fördert genau dieses Verhalten und zimmert so eine Abhängigkeit zusammen.

Warum? Na, zu helfen und gebraucht zu werden fühlt sich eben gut an. Zu helfen ist ja auch eine schöne Geste. Das immer und immer wieder zu tun ist eine multiplizierte schöne Geste. Wie nett!

Um Missverständnissen vorzubeugen: Wir haben nicht das Geringste gegen solidarisches Helfen. Problematisch wird es immer dann, wenn es zum Dauerzustand wird.

Beim solidarischen Helfen geht es um die Bedürfnisse des Gegenübers – bei der Helfen-immer-überall-Variante stehen die Bedürfnisse des Helfers im Vordergrund. Und das ist Egoismus. Dem Helfer im Dauereinsatz bringt sein Verhalten selbst am allermeisten: Er fühlt sich gut,  sonst würde er ja nicht helfen. Er fühlt sich gebraucht, sonst müsste er ja nicht helfen und es gibt ihm das Gefühl wertvoll zu sein, denn helfen ist ja eine noble Geste.

Der Wahnsinn dabei ist aber die toxische Nebenwirkung:
Kümmerer produzieren Verkümmerte! 

Das wohlige Gefühl …

Wir machen euch einen Vorschlag: Wenn euch mal wieder eine solche wiederkehrende Soll-ich-Frage gestellt wird, versucht bitte eine kurze Denkpause einzulegen, bevor ihr die Frage reflexhaft beantwortet. Sagt dann lieber so etwas wie:

„Wie würdest du selbst das Problem lösen?“ oder
„Was willst du tun? Wie willst du dich verhalten? Was hast du jetzt vor?“ oder
„Versuche, es selbst herauszufinden.“

Das zwingt den Fragesteller, selbst Ideen und Lösungsvorschläge zu entwickeln und sich nicht einfach darauf zu verlassen, dass sie für ihn kreiert werden. Das langfristig Gute dabei: Menschen neigen dazu, sich hervorragend an die Dinge zu erinnern, die sie selbst entwickelt haben.

Und wenn ihr euch das nächste Mal dabei erwischt, wie ihr über eure abhängigen Kinder, über eure unselbständigen Kollegen und Mitarbeiter oder eure unmündigen Kunden lamentiert, dann fragt euch doch einmal, ob ihr selbst heimlich das wohlige Gefühl genießt, gebraucht und immer wieder gefragt zu werden. Der leise Triumph, dass es ohne euch einfach nicht läuft …

Wir sind davon überzeugt: Wir sollten nicht nur unsere eigenen Abhängigkeiten auflösen, sondern wir sollten es auch niemandem erlauben, von uns abhängig zu bleiben. Oder?

Mehr zu Selbstverantwortung und antrainierter Hilflosigkeit in unserem Beitrag Monkey-Falle.

 

PS: Erinnert ihr euch noch an unseren Beitrag über Jack Andraka der mit 15 Jahren einen der renommiertesten Wissenschaftspreise gewann? Auf die Frage, wie sie sich das Genie ihres Sohn erklärten, sagten die Eltern trocken: „Schon als er drei war, haben wir uns geweigert, seine Fragen zu beantworten. Wir haben stattdessen gesagt: FINDE ES SELBST HERAUS!“

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