Das Hochstapler-Syndrom – vom Wert der Selbstzweifel

Hochstapler-Syndrom - Selbstzweifel - Tugend

Das Hochstapler-Syndrom – vom Wert der Selbstzweifel

Ein Bekannter von uns verbringt seine Urlaube gern in Florida. Er liebt den Sunshine-State wegen des Klimas, der Strände, der Nationalparks und wegen der direkten Fluganbindung. Und ja, mit seinem passablen Schulenglisch kommt er auch gut durch den Alltag. Nach seiner letzten Reise berichtet er uns von seinem neuen Plan, seine Coaching- und Beratungsleistungen jetzt auch in den USA anbieten zu wollen. „Neue Zielgruppen“, „groß rauskommen“ … und so. Uns steht der Mund offen, während er noch nicht mal mit der Wimper zuckt.

Aller Anfang ist schwer … Uns geht es da nicht anders!

Ähm, also, ganz ehrlich, das finden wir freundlich ausgedrückt „sehr ambitioniert“. Ohne Vorerfahrung, ohne lokalen Partner und mäßigem Englisch in einen Markt einsteigen zu wollen, der sicherlich nicht auf ihn gewartet hat …

Wir sind da eher am anderen Ende der Skala: Als Anja noch in der Beratung arbeitete und zum ersten Mal einen Workshop mit einem Kunden aus der High-Tech-Branche leiten sollte, hatte sie in den Nächten davor Alpträume. Würde sie sich lächerlich machen, weil alle Anwesenden tausendmal mehr Ahnung von der Technik haben als sie? Anja malte sich Horrorszenarien aus, in denen die Anwesenden ihren Chef anrufen und ihn fragen würden: „Was haben Sie sich nur dabei gedacht, uns diese ahnungslose Dumpfbacke als Workshopleiterin vor die Nase zu setzen?“

Und als Peter seine erste Vorlesung an der Wirtschaftsuni Wien über Global B2B Marketing gab, war er so aufgeregt, dass seine Stimme bebte, er sich im Kabel verhedderte und damit sein Notebook fast zum Absturz gebracht hätte … und obendrein redete er noch so schnell, dass er zehn Minuten früher als geplant mit der Vorlesung fertig war. Er war überzeugt davon, dass nach Protesten der anwesenden Studenten seine akademische Karriere noch am gleichen Nachmittag beendet sein würde.

Was genau ist das Hochstapler-Syndrom?

Wir wetten, ihr kennt das Gefühl auch: Manche leiden nur temporär darunter, andere große Teile ihres Lebens. Es ist das nagende Gefühl, dass man nicht gut genug ist, dass man nicht dazugehört, dass man den Job, die Beförderung oder den Platz am Tisch nicht verdient hat. Und wenn etwas gelingt, dann muss Glück im Spiel gewesen sein, nicht eigenes Können oder Talent.

Das Phänomen hat einen Namen: Impostor Syndrome – auf Deutsch: Hochstapler-Syndrom. Der Begriff wurde Ende der Siebziger Jahre von den beiden amerikanischen Psychologinnen Pauline Clance und Suzanne Imes geprägt. Der Begriff bezeichnet das psychologische Muster, wenn Menschen ihre eigenen Fähigkeiten anzweifeln und von der Angst geplagt werden, als Betrüger entlarvt zu werden, der gar nicht im Stande ist, zu leisten, was er vorgibt leisten zu können.

 

So gut wie niemand ist davor sicher – außer echte Betrüger und ausgewachsene Schwachmaten. Warum die letztgenannten Typen nicht Gefahr laufen, davon betroffen zu sein, hat der britische Mathematiker und Philosoph Bertrand Russell auf den Punkt gebracht: „Das ganze Unglück in dieser Welt ist, dass die Dummen so sicher und die Gescheiten so voller Zweifel sind.“

Das ist die Ironie an der Sache: Wer keine Ahnung hat, tut sich leichter – vor allem, wenn er es gar nicht bemerkt.

Müssen wir wirklich alle Selbstzweifel ablegen?

Was die Sache mit dem Hochstapler-Syndrom so herausfordernd macht für diejenigen, die davon betroffen sind, ist, dass das nagende Gefühl, nicht gut genug zu sein und damit aufzufliegen, sich auch dann nicht legt, wenn man erfolgreich ist.

Die meisten Tipps, wie mit diesen Selbstzweifeln umzugehen ist, drehen sich um die darin liegende Selbstsabotage und wie diese unterbunden werden kann. Das Hochstapler-Syndrom wird dort immer als etwas Schlechtes beschrieben und die Prämisse ist: Du musst dringend etwas daran ändern! Du musst dich von diesen Selbstzweifeln befreien!

Wir sehen das anders!

Unsere Überzeugung: Die Dosis macht das Gift. In moderaten Mengen ist das Hochstapler-Syndrom eher eine Tugend als ein Laster. Wir finden: Selbstzweifel sind gut. Wir wollen überhaupt nichts dagegen unternehmen.

Und das aus zwei Gründen:

1. Selbstzweifel halten dich auf den Zehenspitzen

„Erfolg ist ein ganz schlechter Lehrer“, sagt Bill Gates. „Er verführt kluge Menschen zu glauben, dass sie nicht verlieren können.“

Das bedeutet: Wir müssen uns hinterfragen, aus der eigenen Komfortzone heraustreten und uns in neue und unerforschte Gebiete vorwagen, um zu wachsen und uns weiterzuentwickeln.

Und genau da liegt die Herausforderung: Wenn die Dinge neu sind, fühlen wir uns nicht so wohl wie bei etwas, das wir in den letzten 20 Jahren getan haben. Im Umkehrschluss: Wer sich beim Betreten des Neulands unwohl und unsicher fühlt, ist gerade dabei, etwas Neues zu lernen. Und das ist doch ein gutes Zeichen!

Bei uns ist es so, dass wir immer dann besonders stark die mit dem Hochstapler-Syndrom verbundenen Ängste und Unsicherheiten spüren, wenn wir uns über unsere Grenzen hinauswagen. Immer dann, wenn wir neue Dinge angehen, die für uns außerhalb des Gewohnten und Vertrauten liegen. Oder dann, wenn wir schwierige Diskussionen führen, um Projekte anzustoßen oder uns für eine neue, risikobehaftete aber vielversprechende Alternative einsetzen, die vom tradierten Weg abweicht.

Bei all diesen Gelegenheiten, wenn wir die Grenzen des Machbaren ein Stück weit verschieben, kommt die Angst, nicht gut genug zu sein.

Was wir uns in diesen Momenten vor Augen halten sollten: Diese Angst ist die natürliche Begleiterscheinung, die zeigt, dass wir die Komfortzone verlassen. Wenn du also das nächste Mal das Gefühl hast, dass sich Selbstzweifel einschleichen, nimm sie einfach an: Du bist auf dem richtigen Weg!

2. Zweifel und Qualität gehen Hand in Hand

Wenn wir glauben, dass wir mit unserer vermeintlichen mangelnden Kompetenz auffliegen könnten, stachelt uns das an, unsere Hausaufgaben zu machen und uns gründlich vorzubereiten. Wir üben dann unsere Präsentation, bis wir sie rückwärts aufsagen können. Oder wir bereiten uns auf das Kundengespräch noch gründlicher vor.

Und selbst wenn der Erfolg da ist, bleiben wir am Ball, denn wir wissen, dass es keine Garantie für den zukünftigen Erfolg gibt: Nur ein Idiot glaubt, er sei irgendwann angekommen! In dem Moment, in dem du glaubst, es geschafft zu haben, hörst du auf, dich anzustrengen. Wenn du glaubst, die Antworten zu kennen, hörst du auf, zuzuhören. Wenn du glaubst, genial zu sein, fängst du an, anderen die Schuld zu geben, wenn die Dinge nicht wie geplant laufen. Und du hörst auf, aus deinen Fehlern zu lernen.

Wenn du also das nächste Mal das Gefühl der Unsicherheit und die mit dem Hochstapler-Syndrom verbundenen Selbstzweifel in dir aufsteigen spürst, dann begrüße sie! Sei dankbar, dass sie da sind, denn die Zweifel sind ein Signal, dass du dich weiterentwickelst. Sie sind der notwendige Preis für persönliches Wachstum.

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