
Stell dir vor, es gäbe:
- tausende Startups mit genialen Geschäftsideen, aber nur einen einzigen Risikokapitalgeber.
- tausende Männer, die sich in einer Partnerbörse anbieten, aber nur eine einzige Frau, die auf Partnersuche ist.
- hunderte Bäckereien in deiner Stadt, aber nur Herrn Schmidt, der jeden Tag ein halbes Mischbrot kauft. Geschnitten.
Klar, das würde nicht funktionieren: Märkte brauchen eine Vielfalt von Marktteilnehmern auf beiden Seiten, sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite, sonst kann kein Wettbewerb entstehen und der Markt hört auf, ein Markt zu sein. Wenn viele Nachfrager einem einzigen Anbieter gegenüberstehen, nennt man das MONOPOL. Und wenn sich viele Anbieter mit einem einzigen Nachfrager begnügen müssen, nennt man das MONOPSON. Beides sorgt für Marktversagen und das hat negative Folgen für alle Akteure. Soweit die Theorie.
Aber so ein Monopson ist eigentlich viel zu verrückt. So etwas kann es ja nicht geben … oder vielleicht doch …
Das Schwarze Loch für Ideen
Ja, es ist verrückt. Aber leider ist es auch wahr, dass sich in vielen Unternehmen in Bezug auf neue Ideen und Konzepte genau das abspielt: Vielen potenziellen Ideenanbietern steht nur ein einziger Nachfrager gegenüber – verkörpert durch den jeweiligen direkten Vorgesetzten. Ein Monopson. Ein einziges Nein, das nicht einmal begründet werden muss, genügt dann, um die Idee zu killen.
Viele Führungskräfte sind sich gar nicht bewusst, dass ihr Unternehmen Innovationen systematisch erstickt. Unabsichtlich, aber erstaunlich effektiv: Mutige Ideen, die vom üblichen Mainstream abweichen, müssen sich erst einmal durch mehrere Führungsebenen nach oben bewegen, werden durch hundertfachen Widerspruch gequetscht – und dann erhält der Mitarbeiter vielleicht, aber nur ganz vielleicht, grünes Licht für das Ausprobieren der Idee in Form von Ressourcen (Zeit, Geld, personelle Unterstützung). Niemand weiß, wie viele gute Ideen dabei auf der Strecke bleiben.
Dieses Prozedere ist wie eine Sackgasse, in die Ideen hineingelockt und dann in Ruhe erdrosselt werden.
Mutige Ideen erblicken nie das Tageslicht
Eine Studie von Professor Jennifer Mueller von der University of San Diego School of Business hat gezeigt, dass in vielen Unternehmen zwar der Anspruch erhoben wird, kreative Ideen zu fördern, wenn aber der Führungsetage Ideen dieser Kategorie präsentiert werden, erhalten die wirklich mutigen und kreativen Ideen oft eine schlechtere Bewertung als die praktischen und leicht umsetzbaren Ideen. In einer weiteren Studie stellte Mueller fest, dass, wenn sowohl Führungskräfte als auch Kunden die Attraktivität neuer Ideen bewerten sollten, eine entgegengesetzte Dynamik zu Tage tritt: Kunden bevorzugten die kreativsten und mutigsten Ideen, während das Management diese Ideen meist als weniger interessant bewertete, weil sie sie für schwer durchführbar oder nicht profitabel hielten. Aber in den allermeisten Fällen werden die Kunden eben nicht gefragt, sondern die mutigen Ideen erblicken nie das Tageslicht.
Umso mehr hat uns ein Vorgehen des Softwareunternehmens Adobe begeistert, das nicht DIE Lösung ist, aber garantiert eine Lösung sein kann – und zwar eine ziemlich gute.
Ideen säen – mit der Kickbox
Die Adobe Kickbox ist ein kleiner, roter Karton mit allem, was ein Mitarbeiter braucht, um eine neue Idee zu entwickeln und zu testen. Verschlossen ist die Box mit dem Siegel: „Pull in Case of Idea!“
Wer das Siegel aufbricht, findet in der Box Anleitungen, Notizbücher, eine Tafel Schokolade, eine Starbucks-Geschenkkarte und eine 1.000 USD Prepaid-Kreditkarte. Diese Karte kann für alles verwendet werden, was der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin für die Entwicklung ihrer Idee braucht, ohne dass die Ausgabe begründet werden muss oder das Okay eines Vorgesetzten erforderlich ist.
Die Anleitung in der Adobe Kickbox umfasst sechs Schritte:
1) INCEPTION
Beschreibe die Motivation hinter deiner Idee
2) IDEATE
Erzeuge viele Ideen
3) IMPROVE
Arbeite eine der Ideen aus
4) INVESTIGATE
Teste die Idee in einem Experiment
5) ITERATE
Optimiere die Idee anhand der gewonnen Daten
6) INFILTRATE
Stelle die Idee dem Management vor und frage nach Zeit und Geld, um die Idee weiterzuverfolgen
Die Idee erst im sechsten und letzten Schritt dem Management zu präsentieren, ist ein extrem cleverer Schachzug. Das Vorgehen entstand bei Adobe aus der Sorge heraus, dass die kreativsten Ideen nie das Licht des Tages erblicken würden, weil sie sich in den Planungs-, Budgetierungs- oder Genehmigungs-Prozessen verheddern oder vom direkten Vorgesetzten blockiert werden (mehr dazu in diesem Beitrag).
Warum er nein gesagt hat? – Weil er es konnte
Die Idee der Kickbox stammt von Mark Randall, damals Vice-President of Creativity bei Adobe. Er wunderte sich, warum so wenige wirklich mutige Ideen von den Mitarbeitern kamen und befragte sie darum, was sie veranlasst hatte, ihre Ideen für sich zu behalten und diese nicht weiterzuverfolgen.
Die Antwort Nummer 1: Ich konnte mein Management nicht von meiner Idee überzeugen.
Randall war überzeugt, dass es einen anderen und besseren Weg geben müsse, das Innovationsbudget zu verteilen. Anstatt alles auf einige wenige Ideen zu setzen, die es durch die verschiedenen Managementebenen bis ganz nach oben schaffen, könnte man das Budget auf viele Ideen aufteilen. Kreative Ideen, die nicht in der Chefetage präsentiert werden, die aber möglicherweise das Potenzial für einen großen Wurf in sich tragen.
Wer will, der kann
Und seitdem kann jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin bei Adobe, die eine Idee hat, die Kickbox anforden. Kein Vorgesetzter kann ein Veto einlegen oder das verhindern. Die Mitarbeiter müssen ihre Ergebnisse teilen. Aber es gibt keine Frist, wann sie präsentieren müssen und keine negativen Konsequenzen und kein Werturteil, wenn ihre Kickbox-Idee zu nichts Nennenswertem führt.
“When you trust people, they’ll live up to your expectations,” sagt Mark Randall. – So ist es!
Wer Innovation nicht verhindern will, muss eine Unternehmenskultur schaffen, in der Mitarbeiter neue Einsichten aufspüren, kreative Ideen entwickeln, Experimente wagen, Misserfolge analysieren und wieder von vorn beginnen können.
Darum schlagen wir euch vor: Schnappt euch diese Idee von Adobe, tragt sie in euer Unternehmen, adaptiert sie, so dass sie zu euch passt und dann: Macht etwas daraus!
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PS: Swisscom hat in den letzten Jahren mit der Kickbox über 500 Intrapreneure unterstützt. Die Learnings sind im SWISSCOM KICKBOOK gelandet, das es hier kostenlos als PDF gibt. Prädikat: sehr lesenswert!