Eine Gruppe von Feuerwehrleuten kämpfte seit Tagen gegen ein Buschfeuer in Colarado an. Mit schwerem Gerät waren sie in unzugänglicher Landschaft unterwegs, um eine Schneise zu schlagen. Plötzlich fegte eine Windböe über die Männer hinweg, das Feuer sprang auf die andere Seite der Schneise. Die Männer waren augenblicklich auf drei Seiten von der lodernden Flammenwand umgeben, die vierte Seite begann sich zu schließen …
Den erfahrenen Feuerwehrleuten war ihre Lage sofort klar. Sie mussten sich so schnell wie möglich zum Waldrand zurückziehen, bevor das Feuer sie einschloss, denn sonst hätten sie keine Überlebenschance. Ein Wettlauf mit der Zeit.
Drop your tools! – Loslassen!
Wir wissen nicht viel mehr von den letzten Minuten der Männer, denn Viele verloren den Wettlauf und kamen ums Leben. Aber ein Faktum wurde durch die Untersuchung des Unglücks rekonstruiert: Die Männer waren tatsächlich schwer bepackt auf dem Rückzug, als sie vom Feuer kurz vor dem Waldrand eingeholt wurden. Die schweren Gerätschaften hatten ihre Flucht verlangsamt. Dennoch hätten sie es beinahe geschafft.
Die Frage ist: Warum haben sie ihre Last nicht abgeworfen und sind um ihr Leben gerannt? Warum haben sie sogar den Befehl: Drop your tools! – Werft die Geräte weg! – ignoriert? Wieso haben sie diese Fehlentscheidung getroffen? Was ging im Kopf der Verunglückten vor?
Identitätsstiftendes, Vertrautes, Wertvolles aufgeben und loslassen
Karl Weick, emeritierter Professor für Organisationspsychologie an der University of Michigan schrieb über die Hintergründe dieses Unglücksfalls in einem Beitrag für das Administrative Science Quarterly. Er nannte darin die folgenden zutiefst menschlichen, aber in diesem Fall tödlichen Motive, die wir für bemerkenswert und extrem lehrreich erachten:
1. Identität: Feuer kann man nicht mit der Hand oder dem Körper bekämpfen. Werkzeuge sind darum identitätsstiftend. Werkzeuge und Feuerwehrmann bilden sozusagen eine Einheit. Die Angst vor dem Wegwerfen war somit auch die Angst vor dem Verlust der eigenen Identität.
2. Soziale Dynamik: Weick nennt es „pluralistische Ignoranz“ – Wenn der Vordermann sein Werkzeug bei sich behält, erweckt das beim Hintermann den Eindruck es sei besser und sicherer das auch zu tun. Im Zweifelsfall: ich auch!
3. Gelerntes Verhalten: Feuerwehrleute haben in der Ausbildung immer wieder gehört, dass sie auf ihre Ausrüstung achten sollten. Sie einfach liegen zu lassen, widerspricht einem akzeptierten Grundprinzip.
4. Zugeschriebener Wert: Die Feuerwehrleute betrachteten das Werkzeug als zu wertvoll. Sie setzen buchstäblich ihr Leben dafür ein den Wert zu erhalten, indem sie das Werkzeug zum Beispiel vergraben oder es wegtragen. Dabei opfern sie den unsicheren Wert der Zukunft für den sicheren Wert des Status Quo.
5. Mangelnde Übung: Die Feuerwehrleute hatten keine Übung im Loslassen. Sie hatten das Wegwerfen von Unbrauchbarem niemals vorher geprobt.
Wir finden diese Gründe so frappierend, weil sie uns auch im Unternehmensalltag regelmäßig begegnen. Die tragische Geschichte wird damit zu einer aussagekräftigen Allegorie – denn auch in der Wirtschaft ist es derzeit allerorten notwendig, Verhalten zu ändern, um nicht im Abseits oder im Aus zu landen. Dazu müssen Menschen Identitätsstiftendes, Vertrautes, Wertvolles, Akzeptiertes, Gewohntes aufgeben und loslassen. Doch viele schaffen das nicht! Und zwar aus den gleichen Gründen wie die Feuerwehrleute von Colorado.
Was könnte ich loslassen, aufgeben, hinter mir lassen?
Loslassen müssen wir vieles, was früher funktioniert hat und uns Sicherheit gegeben hat: Vertriebswege, Prozesse, Geschäftsmodelle, Einstellungskriterien, Beförderungsroutinen, Führungsstile, alte Technologien und jede Menge mehr.
Auch im Privaten gilt das: Eine ehemalige Studienkollegin von Anja beispielsweise ist seit zwei Jahren geschieden. Ihr Ex-Mann ist längst weggezogen. Aber bei jedem Treffen mit Anja fällt nach spätestens zwei Minuten sein Name … sie schafft es nicht, sich innerlich von ihm zu lösen. Und darum ist es auch kein Wunder, dass es mit einem neuen Freund nicht klappen will!
Wer sich für Neues öffnen will, ob privat oder beruflich, muss sich fragen: Was könnte ich loslassen, aufgeben, hinter mir lassen?
Zukunftsfähigkeit heißt: Aufräumen, entrümpeln und ausmisten. Bedeutet: sich regelmäßig fragen, welche Prozesse, Vorschriften, Regeln und Systeme weggelassen werden können/sollten/müssen.
Und zwar bevor du vom Feuer eingeschlossen bist!