
Warum Prinzipien immer Best Practices schlagen
„Warum kannst du nicht mehr so sein wie deine große Schwester?”
– Vielleicht kennst du solche Sprüche aus deiner Kindheit. Allerdings sind solche Erziehungsversuche weder hilfreich noch förderlich, denn implizit steht dahinter die Aussage: So wie du bist, ist mit dir etwas nicht in Ordnung. Du bist nicht ok.
Das Verrückte aber ist: Genau das gibt es häufig auch im Business zu hören: „Es wäre besser, wir wären mehr so wie Google oder Netflix (oder welches Unternehmen auch immer gerade angesagt ist).“
Etliche Manager sind ganz dankbar, wenn jemand etwas vorgibt, das sich kopieren lässt, denn so besteht keine Notwendigkeit, mühsam durch Versuch und Irrtum selbst herauszufinden, was der beste Weg für die eigene Organisation und deren Zukunftsfähigkeit ist.
Ein solches Verhalten spiegelt die Gier nach Rezepten, nach Best Practices, die die Hoffnung nähren, es gäbe „one best way“, etwas zu tun. Man hofft darauf, dass es den einen vorbildlichen Weg gibt, den man einfach nur übernehmen muss und schon wird alles gut. Natürlich integriert man auf diesem Weg nur das Gute und lässt das Schlechte einfach weg. Das gibt das gute Gefühl von Sicherheit. Wer das tut, was andere große Namen vormachen, kann damit so falsch nicht liegen.
Wir sind da skeptisch.
Die besten Wege sind neu und unbekannt
Wer die vermeintlich erfolgreichen Praktiken anderer Unternehmen für die eigene Praxis einfach übernimmt und darauf hofft, dass das auch auf dem heimischen Terrain funktionieren wird, läuft Gefahr, bitter enttäuscht zu werden. Denn Netflix, Google oder wer auch immer haben eine andere Geschichte, eine andere Kultur, ein anderes Umfeld.
Hinzu kommt: Die Praktiken, die dort vor längerer Zeit erdacht wurden, haben diese Firmen in der Vergangenheit und Gegenwart erfolgreich gemacht. Das sagt aber noch lange nichts darüber aus, ob das auch für das eigene Unternehmen und dessen Zukunft taugt. Peter Thiel bringt es in seinem Buch „Zero to One“ prägnant auf den Punkt: „Die Best Practices von heute führen morgen in die Sackgasse. Die besten Wege sind neu und unbekannt.“
Best Practice versus Prinzipien
Wer die Zukunftsfähigkeit in der eigenen Organisation fördern will, sollte nicht Best Practices implementieren, sondern mit den Prinzipien beginnen.
Um es an einem Beispiel deutlich zu machen: Nehmen wir mal an, du willst ein guter Partner sein in deiner Beziehung. Nun könntest du sagen: Die Best Practices einer guten Beziehung sind:
- jeden Freitag Blumen mitbringen
- Klodeckel nicht offenlassen
- immer den Deckel auf die Zahnpastatube schrauben
- alte Socken nicht auf Boden liegen lassen, sondern in Wäschetonne werfen
- niemals den Hochzeitstag vergessen
- mindestens einmal täglich sagen: „Ich liebe dich.“
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Ganz ehrlich, das klingt nicht so wie der Knaller. Irgendwann wird der Partner verstehen, dass das nicht echt und authentisch ist, sondern nur ein roboterhaftes Abarbeiten einer Best-Practice-Liste für Beziehungen.
Etwas vollkommen anderes ist es hingegen, statt Best Practices auf Prinzipien zu setzen. Also zum Beispiel: „Sei achtsam und aufmerksam“, „Lass den andern spüren, dass du ihn/sie liebst“ und so weiter.
Prinzipien gibt es auch in Unternehmen
Bezogen auf Unternehmen: Auch für Organisationen gibt es eine ganze Reihe von Prinzipien. Nehmen wir als Beispiel die klassisch-hierarchische Organisation. Sie ist auf den Prinzipien der Verteilung von Aufgaben in Abteilungen aufgebaut, auf dem Prinzip von Ansage und Kontrolle, von Top-down-Ressourcenverteilung und so weiter. Diese Dinge sind tief in den Managementprozessen und Strukturen verankert.
Wenn in einer solchen Organisation nun der Wunsch wächst, sich zu verändern, also moderner, weniger hierarchisch, agiler, kundenzentrierter, weniger top-down zu werden, dann funktioniert eben nicht das Kopieren von Best Practices anderer Unternehmen, die bereits so aufgestellt sind, wie man gern selbst sein möchte – sondern viel besser wäre dann die Frage: Welche alternativen Prinzipien gibt es zu den vorherrschenden?
Um in unserem Beispiel zu bleiben: Statt Top-down-Entscheidungen könnte man auf das Prinzip der kleinen, selbstverantwortlichen Einheiten setzen. Statt einer Bündelung der Informationen hinter Abteilungsmauern könnte man auf das Prinzip der Offenheit und Transparenz setzen.
Unser Vorschlag, was das konkret heißt
Wie aber könnt ihr diese Prinzipien in gelebtes Handeln überführen? – Indem ihr die Prinzipien mit einem zweiten Bereich abgleicht: Nämlich der Art und Weise, wie im Unternehmen Managemententscheidungen getroffen werden.
Also, nehmt ein leeres Blatt Papier, teilt es in zwei Spalten:
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Linke Spalte:
MANAGEMENT-ENTSCHEIDUNGEN, wie zum Beispiel
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- Recruiting: wie und nach welchen Kriterien stellen wir ein?
- Beförderung: wie und nach welchen Kriterien befördern wir?
- Vergütung: wie, in welcher Höhe und nach welchen Kriterien vergüten wir Leistung?
- Ressourcenverteilung: wie und nach welchen Kriterien teilen wir Ressourcen zu, also Zeit, Budget, Mitarbeitende?
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Rechte Spalte:
WÜNSCHENSWERTE PRINZIPIEN, wie zum Beispiel
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- wir wollen kundenzentriert sein
- wir wollen mehr Demokratie wagen
- wir wollen transparent sein
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Die Herausforderung ist also: Wenn wir diese wünschenswerten Prinzipien ernst nehmen würden, was müsste sich dann ändern?
Wenn wir beispielsweise transparenter sein möchten, was würde das konkret für unser Recruiting bedeuten?
Was könnte das für Beförderungen bedeuten?
Was könnte das für die Gehälter bedeuten?
Was könnte das für die Ressourcenverteilung bedeuten?
Statt einem Blueprint: hunderte Hacks
Um euch ein Beispiel (nein keine Best Practice!) zu geben: Gary Hamel hat zusammen mit Kollegen genauso eine Vorgehensweise bei einem Beratungsprojekt mit Adidas in den USA angewandt. Wir finden ihre Vorgehensweise unfassbar gut:
Im Rahmen der sogenannten „Management-Hackathons“ generierten mehr als 3.000 Mitarbeiter aus unterschiedlichen Bereichen und Funktionen mehr als 4.000 Ideen, um das Managementmodell des Unternehmens weiterzuentwickeln. Die vielversprechendsten wurden zu „Hacks“ weiterentwickelt – also kostengünstige Experimente, um prinzipiengetriebene Änderungen an bestehenden Managementsystemen und -strukturen zu testen.
Das Vorgehen dabei war, dass den Mitarbeitern wöchentlich online ein bestimmtes Prinzip (zum Beispiel Transparenz) vorgestellt wurde. Der wöchentliche Input endete mit der Frage „Was konkret würdest du ändern?“ Wenn also das Thema der Woche Transparenz war, hieß die Frage „Was würdest du verändern, damit Adidas transparenter wird?“
Die Antworten waren natürlich sehr vielfältig. Zum Beispiel: „Wir sollten alle Gehälter offenlegen“, „Wir brauchen eine Open-Book-Policy, bei der alle Mitarbeiter Einblick in alle finanziellen Daten des Unternehmens erhalten“ bis hin zu „Wir sollten unsere Kunden und Handelspartner sehr früh in den Produktentwicklungsprozess integrieren.“
Zusätzlich wurden die Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Management-Hackathons auch gebeten, kleine Hacks zu entwickeln, um das jeweilige Thema konkret umzusetzen. In acht Wochen hatten die 3.000 Mitarbeitenden rund 800 Hacks entwickelt, über die dann abgestimmt wurde. Ziemlich schnell setzten sich die erfolgversprechendsten Ideen durch und es wurden kleine kostengünstige Experimente rund um diese Hacks entwickelt.
Ein Team von Freiwilligen, das Lust hatte, das auszuprobieren, hat dann 30 Tage lang diese Hacks als Experimente umgesetzt. Und nach 30 Tagen weiß man ziemlich genau, ob der Hack etwas taugt, ob er in die Tonne kommt oder ob und wo man nachbessern müsste.
So eine Vorgehensweise setzt unglaublich viel Energie frei. Kein Wunder, denn es ist eines der Kernprinzipien des Design Thinkings und jedes vernünftigen Innovationsprozesses: Involviere deine Kunden beziehungsweise User!
So ziemlich alle Mitarbeitenden haben Ideen. Und sie sind clever genug zu kapieren, dass so ein Hackathon kein reines Wunschkonzert ist und am Ende des Tages auch die Zahlen stimmen müssen.
Vergesst das Hecheln nach Blueprints
Also: Vergesst die Best Practices! Vergesst das Hecheln nach Blueprints und Beispielen zum Nachahmen.
Sie sind nur der sichere Weg, stets zweiter Sieger zu sein. Beherzigt stattdessen, dass die besten Wege grundsätzlich neu und unbekannt sind, wie Peter Thiel sagt.
Um diese neuen Wege für euch zu finden, schaut euch nicht bei anderen Unternehmen um, sondern erforscht eure eigenen Prinzipien, auf die ihr für die Zukunft setzen wollt.
Und dann: Fangt an, diese Prinzipien in der täglichen Praxis umzusetzen, am besten in Form von kleinen, schnellen, kostengünstigen Experimenten.
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