Bist du bereit für die rote Pille?

Rote Pille - Blaue Pille - Matrix

Bist du bereit für die rote Pille?

Läuft? – Klar! Kein Zweifel! Ein Bekannter von uns ist Inhaber eines mittelständischen Maschinenbauunternehmens. Dritte Generation, vom Vater übernommen. Der Klassiker. Vor einigen Jahren hatte er sich aus dem operativen Geschäft zurückgezogen und das Management seines Unternehmens einem angestellten Geschäftsführer übertragen.

Wir fanden das immer ziemlich lässig: Seine Aufgabe war „nur“ noch, regelmäßig die Geschäftszahlen zu prüfen und alle 14 Tage mal vor Ort sein, um nach dem Rechten zu schauen. Dann sprach er mit seinem Geschäftsführer über dies und das, die Lage in der Produktion, die Nachfrage und so weiter. Ansonsten verbrachte er seine Zeit mit Hobbies, Reisen und der Familie. Ein ganz schön süßes Leben!

„Ich habe einfach tierisch viel Glück gehabt“, sagte er immer. Denn das Geschäft lief praktisch auf Autopilot.

Aber das ging exakt so lange gut, bis es nicht mehr gut ging …

Auf dem Auge war er blind

Im letzten Jahr kündigte plötzlich der Geschäftsführer aus heiterem Himmel. Unser Bekannter musste also kurzfristig wieder das Ruder selbst übernehmen. „Kein Problem“, sagte er. „Bis ich einen neuen Geschäftsführer gefunden habe, mache ich das selbst. Und ehrlich gesagt, freue ich mich auch schon drauf.“

Das mit der Freude war allerdings schnell vorbei. Bei näherem Hinsehen offenbarte sich, dass das Unternehmen schon länger von der Substanz lebte. Würde man dem Unternehmen wie in der Schule ein Zeugnis ausstellen, wäre es ein Desaster: Innovationskultur – mangelhaft. Ideenpipeline – ungenügend. Versetzung ins Digitalzeitalter – gefährdet. Attraktivität für Fachkräfte – geringst. Die Mitarbeiter blieben nur, weil sie in der strukturschwachen Region nicht viele andere Möglichkeiten hatten. Gute Bewerber von außerhalb machten einen weiten Bogen um die Firma.

Der Blick auf die Zahlen war immer nur ein gefilterter Rückblick gewesen – und der hatte immer gut ausgesehen. Aber hinter den Zahlen gähnte der Abgrund! Auf unsere Frage „Das musst du doch mitbekommen haben, zumindest ansatzweise?!“, sagte er nur: „Ich glaube, ich war auf dem Auge blind.“

Warum wir euch das erzählen? Es hat etwas mit der roten und der blauen Pille zu tun. Unser Bekannter hatte sich für die blaue Pille entschieden. Im vergangenen Jahr wurde ihm die rote Pille dann zwangsweise verpasst. Für alle, die jetzt nur noch ein Fragezeichen im Kopf haben – ihr habt vermutlich den Film Matrix noch nicht gesehen:

Rote oder blaue Pille?

Matrix – in diesem Kultfilm gibt es eine Schlüsselszene (Min: 01:20): Der rätselhafte Morpheus, gespielt von Laurence Fishburne, stellt Keanu Reeves als Neo vor die Wahl. Rote oder blaue Pille? Schluckt Neo die blaue Pille, kehrt er zurück in die heile Traumwelt, die die Matrix für ihn konstruiert hat. Die rote Pille dagegen wird ihm die Augen öffnen für die Welt, wie sie tatsächlich ist.

Neo wählt die rote Pille … und der Schleier fällt! Er erkennt, dass er in einer gefälschten Realität namens Matrix gelebt hat. Alles, was er sieht, ist eine Illusion, die geschaffen wurde, um ihn zu blenden, damit er die Wahrheit nicht erkennt.

Und wie Neo, so haben auch wir im übertragenen Sinn jeden Tag die Wahl zwischen der roten und der blauen Pille. Die Einnahme der roten Pille kann Dinge enthüllen, die wir nicht sehen wollen. Mit der roten Pille wachen wir auf. Wir sehen die ungeschminkte Realität, das echte Leben hinter der Scheinwelt.

Viele entscheiden sich genau aus diesem Grund für die blaue Pille: Sie verschließen die Augen vor dem, was sie nicht sehen wollen, was unangenehm ist, was schmerzhaft ist, was verändert werden müsste und nicht ins Weltbild passt. Das Augenmerk der Blaue-Pillen-Leute liegt darauf, sich wohlzufühlen und ihr Weltbild bestätigt zu sehen. Sie basteln sich die Welt, wie sie ihnen gefällt.

Der Wirkstoff, hoch konzentriert

Die blaue Pille ist definitiv der bequemere Weg – aber eben auch eine Sackgasse: Beunruhigende Entwicklungen werden zunächst als nicht plausibel oder bedeutungslos verworfen, dann als Ausnahmen von der Regel rationalisiert, als Nächstes widerwillig durch defensive Maßnahmen aufgefangen, bevor man sich dann schließlich doch ehrlich mit ihnen auseinandersetzen muss – was allerdings auch nicht immer geschieht.

Je weiter wir uns von der Realität entfernen, desto größer die Überraschung über die Welt, die sich unterdessen dramatisch verändert hat. Die Wünsch-dir-was-Welt implodiert dann früher oder später umso dramatischer. Der Aufschlag auf dem Boden der Realität wird umso härter.

Wir tun also gut daran, uns immer wieder selbst aus freien Stücken eine kräftige Dosis rote Pille zu verabreichen. Nur, was heißt das konkret?

Was ist der Wirkstoff, der in der roten Pille steckt und der die echte Realität zum Vorschein bringt, egal wie unangenehm, anstrengend oder herausfordernd sie ist?

Der Wirkstoff ist der Zweifel!

You live, you learn

Also: Zweifelt regelmäßig! Und ja, das bedeutet systematische Fragen zu stellen, permanent kritisch nachzuhaken, ständig am Status quo zu rütteln. Das ist unbequem und es kann die heile Welt gehörig ins Wanken bringen. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum so viele Menschen dem aus dem Weg gehen.

Der Physiker und Nobelpreisträger Richard Feynman sagt dazu: „Wir müssen unbedingt Raum für Zweifel lassen, sonst gibt es keinen Fortschritt, kein Dazulernen. Man kann nichts Neues herausfinden, wenn man nicht vorher eine Frage stellt. Und um zu fragen bedarf es des Zweifelns.“

So ist es! Wir tun gut daran, unbequeme Zweifel nicht nur zuzulassen, sondern das Zweifeln regelmäßig selbst zu üben.

Unser Bekannter übrigens hat das schmerzlich gelernt. Er hat die rote Pille geschluckt. Aber ob er das rechtzeitig getan hat, ist noch offen. Denn ausgerechnet jetzt lässt die Konjunktur nach, die Rohstoffpreise sind hoch … ob er mit seinem Unternehmen noch die Kurve bekommt? Wir haben Zweifel! Und er hoffentlich auch.

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