
Die Fotos waren fantastisch! Der Mann hatte ein iPad aus einer Schublade geholt und uns einige seiner Fotos gezeigt: Ausnahmslos schwarz-weiße Portraitfotos. Der Typ war richtig gut!
Der Witz an der Geschichte: Wir hätten das nie erfahren, wenn wir nicht zufällig aus dem Hotel in Brüssel schon kurz nach fünf Uhr früh hätten auschecken müssen, um unseren Flug zu bekommen. An der Rezeption fragten wir den Mann vom Nachtdienst, ob er noch ein Erinnerungsfoto von uns machen kann. Das Hotel war wunderschön eingerichtet und wir wollten davon gern ein Bild haben, auf dem wir beide zu sehen sind.
Und dann legte dieser Mann vom Nachtdienst los wie ein Profifotograf: „Stellen Sie sich dahin, kucken Sie weiter nach rechts, hier ist das Licht schön, nein, da haben Sie einen Schatten im Gesicht …“
Wir waren verblüfft vom exzellenten fotografischen Ergebnis und lobten ihn entsprechend. Und dann erzählte er uns, dass das Fotografieren seine große Leidenschaft sei und zeigte uns diese Auswahl seiner Bilder: sensationell.
Wir fragten ihn, ob er denn auch Fotos für das Hotel machen würde, bei dem Talent wäre das doch eine super Sache.
„Ach, nein“, sagte er, „die wissen das gar nicht. Für die bin ich halt der Typ vom Nachtdienst.“
Talente – Schlicht übersehen
Wie schade. Für das Hotel.
Uns hat das an zwei Geschichten erinnert, die wir mal gelesen haben:
Die erste Geschichte:
Einer der größten lebenden Architekten unserer Zeit, Frank Gehry , hat mal als junger Mann Flugzeuge in Südkalifornien gewaschen. Sein Boss hatte keine Ahnung, dass in diesem einfachen Angestellten einer der kreativsten Menschen des 20. Jahrhunderts steckte … Gehry selbst übrigens auch nicht.
Gehry sagt, er habe diese Arbeit gerne gemacht. Und wenn ihm damals jemand beigebracht hätte zu fliegen, wäre er vielleicht sogar dort geblieben und niemals der überragende Stararchitekt geworden, der er heute ist.
Die zweite Geschichte:
Ein Lehrer in den 50er Jahren in Liverpool hatte zwei Schüler in seiner Musikklasse. Sie mochten offenbar Musik, hatten aber dennoch keine sonderliche Lust auf den Musikunterricht. Der Musiklehrer wurde später gefragt, ob ihm an diesen beiden Schülern irgendetwas aufgefallen sei: „Nein. Rein gar nichts.“
Diese beiden Burschen waren Paul McCartney und George Harrison – und dem Musiklehrer war nicht einmal ansatzweise in den Sinn gekommen, dass diese beiden Jungs musikalisches Potenzial hätten.
Als wir vom Brüsseler Hotel zum Flughafen unterwegs waren, haben wir uns die Frage gestellt: Wie viele unentdeckte Talente schlummern eigentlich in den Menschen, mit denen wir Tag für Tag zu tun haben?
Das Beste, was wir tun können
Welche Rohdiamanten von Menschen kennt ihr, ohne zu wissen, was in ihnen steckt? Welche Fähigkeiten verbergen sich vor euch in den Menschen in eurem Team? Was kann der, der da draußen gerade den Rasen mäht? Zu was wären die beiden Burschen fähig, die gerade ihre Ausbildung begonnen haben und rumalbern? Vielleicht sitzt bei euch in der Buchhaltung ein potenzieller Nobelpreisträger wie Einstein auf dem Patentamt in Bern…
Wir wissen zu wenig von den Talenten anderer und oftmals wissen die es selbst auch nicht. Der von uns sehr geschätzte Managementprofessor und Autor Warren Bennis sagte einmal einen Satz, der uns schon seit vielen Jahren nachhaltig inspiriert:
Das Beste, was eine Führungskraft für ein großartiges Team tun kann, ist, die Teammitglieder ihre eigene Größe entdecken zu lassen.
Wir fügen hinzu:
Das Beste, was wir alle, ob als Führungskraft, als Teamleiter, als Coach, als, Lehrer, als Vater oder Mutter tun können: Wir können Menschen helfen, ihre eigene Größe und ihre Talente zu entdecken.
Neben eurer Kernaufgabe
Eines der schönsten Beispiele dafür, das wir kennen, ist das W-Hotel in Barcelona. Vielleicht erinnert ihr euch, wir hatten schonmal darüber geschrieben:
Das Ergebnis der permanenten Talentsuche im W-Hotel sind Geschichten wie diese, die uns immer wieder die pure Freude ins Gesicht zaubern:
- Norma aus Peru, die 11 Jahre in Japan gelebt hat, begrüßt japanische Gäste und hilft ihnen beim Check-in. Neben ihrer Kernaufgabe. Sie ist Reinigungskraft.
- Jamal aus Marokko ist gläubiger Muslim und erklärt beispielsweise allen Mitarbeitern, was der Fastenmonat Ramadan für muslimische Gäste bedeutet. Neben seiner Kernaufgabe. Er ist Fensterputzer.
- Jordi ist begabt im Bauen von originellen Dingen. Und er liest für sein Leben gern. Deshalb baut er die Requisiten im Hotel und macht Literaturempfehlungen: Natürlich neben seiner Kernaufgabe. Er ist Müllmann.
Was dem W-Hotel gelingt, sollte uns allen Ansporn und Verpflichtung sein:
Macht euch heute ein großartiges Geschenk und unterstützt jemanden darin, ein Stück weit seine eigene Größe und seine Talente zu entdecken!