Zeit zum Nachdenken: Do-Not-Call-Mondays

Zeit zum Nachdenken

Zeit zum Nachdenken: Do-Not-Call-Mondays

Sébastien Bazin ist ein ziemlich cooler Typ: Zunächst mal ist er der größte Hotelier Europas, nämlich Chef der Hotelkette Accor. Und das ist ein Pfund: 5.100 Hotels in 110 Ländern mit 300.000 Mitarbeitern. Also mehr als doppelt so viele Mitarbeiter wie zum Beispiel BMW. Allerdings hat er die Hotellerie nicht von der Pike auf gelernt, sondern er ist ein astreiner Quereinsteiger: Zuvor war er Investmentbanker und dann Präsident des Pariser Fußballvereins Paris Saint-Germain.

Was uns aber erst so richtig beeindruckt und inspiriert hat, ist das, was er kürzlich in einem Interview mit dem Magazin „Der Spiegel“ über seine Haltung zu seiner Arbeit in der Corona-Krise preisgegeben hat …

Zeit zum Nachdenken – Plötzlich ist sie da

Bazins Leben vor der Corona-Krise sah so aus, wie das so ziemlich jeden Top-Managers: Ein einziges Rennen gegen die Zeit. Er sagte, dass er vor der Krise kaum Zeit in seinem Büro in Paris verbracht hatte.

Stattdessen: Immer unterwegs. Immer eng getaktet. Zeit ist das knappste Gut. Ein Leben auf dem Sprung.

Insgesamt 260 Tage im Jahr war er unterwegs. 260!

Wenn wir von den 52 Wochen, die das Jahr hat, mal 6 Urlaubswochen abziehen und die 260 Reisetage durch die übrigen 46 Wochen dividieren, ergibt das eine Reisezeit von 5,7 Tagen pro Woche. Unterm Strich also jede Woche einen Tag, um den Koffer umzupacken. Zeit zum Durchatmen? Zeit zum Nachdenken? Ist in so einem Leben nicht vorgesehen!

Und dann … schlägt die Krise zu: Seine Branche wurde im Frühjahr 2020 mit voller Wucht getroffen. „Wir erleben eine historische Katastrophe in der Hotellerie und in der Gastronomie“ sagt Bazin.

Der Effekt für ihn: Alle seine Reisen sind von jetzt auf gleich gestrichen. Und plötzlich hat er Zeit. Viel Zeit.
Am Anfang war er fast alleine im Accor-Hochhaus in Paris. Jeden Tag ging er ins Büro, anfangs machte er sich sogar noch selbst sein Essen in der Mikrowelle warm („Ein Franzose. Essen aus der Mikrowelle. Mon dieu!“).

Aber er haderte nicht, sondern nutzte die Zeit, um das zu tun, was in den letzten Jahren vor der Krise immer zu kurz gekommen war: Nachdenken!

Heute sagt er über diese Zeit:

„Es ist ein sehr rarer, kostbarer Moment in meinem Leben. Weil ich auf einmal das habe, was ein französischer Wissenschaftler mal »le temps large« genannt hat: unendlich viel Zeit. Es ist eine Phase, in der die Uhr keine Rolle mehr spielt, in der man fähig ist, in alle Richtungen zu denken. Dieser Wissenschaftler hat mir gesagt, für einen Manager sei es wichtig, ohne Einschränkungen nachdenken zu können, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Damals wusste ich nicht, was er meinte. Jetzt weiß ich es.“

Zeit zum Nachdenken – statt getrieben und gefangen

Wovon Bazin da spricht, deckt sich sehr gut mit dem, für das wir in unserem Buch „Vergeude keine Krise!“ so vehement eintreten: Gerade der erzwungene Bruch mit den üblichen Routinen und mit dem Gewohnten kann in herausfordernden Zeiten starke Veränderungskräfte freisetzen. Wir müssen es nur zulassen.

Und das kann (!) das Positive an der Krise sein, zumindest im Nachhinein betrachtet: Nämlich, dass sie uns aus dem Alltagsrennen herausholt und uns Zeit zum Nachdenken gibt. Natürlich ist das nicht neu und natürlich brauchen wir dazu eigentlich keine Krise. Aber die Krise ist unser Überzeugung nach vor allem auch Brennglas und Verstärker für Veränderungen, die ohnehin stattfinden müssen.

Und faktisch sieht es doch so aus, dass wir uns chronisch zu wenig Zeit für die Birne nehmen und zu sehr im Tagesgeschäft gefangen sind.

Es gibt dazu eine augenöffnende Untersuchung des kanadischen Management-Professors Henry Mintzberg. Für sein Buch „Managing“ hatte er 29 Führungskräfte beobachtet und durch ihren Arbeitsalltag begleitet. Sein Fazit:

„Ich erlebte einen Arbeitsalltag voller Hektik und Druck. Vor allem wird die ganze Zeit reagiert. Ständig mussten die Manager Sachen erledigen, die auf sie zukamen. Und wenn sie selbst etwas bestimmen wollten, konnten sie höchstens das, was sie sowieso erledigen mussten, nach ihren Prioritäten ordnen.“

Das Problem dabei: Was nutzt alles fanatische Rennen, wenn wir nicht auf der richtigen Straße unterwegs sind?

Wir gehen mal davon aus, dass euch das bekannt vorkommt.

Eine konstruktiv-nachdenkliche Haltung wie jene von Sébastien Bazin herauszubilden und darüber zu reden ist eine Sache – diese Veränderungskräfte aber auch tatsächlich in euer tägliches (Berufs-)Leben zu integrieren, also wirklich nachzudenken, ist die andere Sache.

Wir haben eine Idee, wie du dieses Nachdenken auch jenseits der Krisenzeit institutionalisieren kannst: Mit den Do-Not-Call-Mondays!

Do-Not-Call-Monday – Bewusste Zeit zum Nachdenken

„Erfunden“ wurde der Do-Not-Call-Monday bei Conversations, einer Marketingagentur in New York. Er geht so: Am ersten Montag im Monat kommen alle 50 Mitarbeiter des Unternehmens in einem Raum zusammen. Die Handys sind im Flugmodus. Eben mal kurz E-Mail oder Soziale Medien checken? Ist nicht erlaubt.

Auch die Kunden wissen, dass sie am ersten Montag des Monats keine Antworten per Telefon oder E-Mail erwarten können. Und sehr spannend dabei: Für diesen Tag gibt es keine Agenda und keinen Plan! Die Idee ist, einfach aus der Arbeitsroutine auszubrechen, um nachdenken und miteinander reden zu können.

Frank O’Brien, der Chef von Conversations:

„Ich halte es für sehr wichtig, Zeit einzuplanen, in der man tief durchatmen, sich umschauen und nachdenken kann. Ein gewisses Maß an Klarheit ist erforderlich, um innovativ zu sein und zu wachsen.“

Was wir euch ans Herz legen wollen, ist nicht, die Do-Not-Call-Mondays eins zu eins nachzubauen, sondern das Prinzip dahinter zu adaptieren. Die Frage ist: Auf welche Weise kannst du dir in deinem Unternehmen Zeitfenster schaffen und das Team dazu bringen, in Ruhe nachzudenken?

Wir brauchen Zeit

Denn wenn es überhaupt eine Lehre gibt, die wir alle – forciert durch das erzwungene Innehalten – dauerhaft, auch über die gegenwärtige Zeit hinaus, verinnerlichen sollten: Wir brauchen Zeit!

Zeit, um uns hinzusetzen und nachzudenken. Zeit ohne Agenda. Zeit ohne To-Dos. Zeit, um uns mal gründlich mit anderen zu unterhalten. Zeit, um über die Zukunft zu sprechen.

Die Zeit, die ihr an einem Do-Not-Call-Monday oder an einem anderen Tag gemeinsam verbringt, ist wichtig für die Entwicklung neuer Ideen. Wenn ihr ernst nehmt, dass Denken Arbeit ist, dann plant regelmäßig Zeit zum Denken ein! Zeit, in der das Smartphone auf stumm geschaltet und der Laptop zugeklappt ist, ihr die Füße hochlegt und nachdenkt. Und mit anderen redet. Gönnt euch diese Zeit. Gönnt euch diesen Abstand!

Klar, das ist alles nicht gerade in Mode in unserer nervösen Zeit. Aber wir schreiben es in „Vergeude keine Krise!“: Wollen wir wirklich zur alten Normalität zurückkehren? Es wäre fahrlässig, die Krise ungenutzt verstreichen zu lassen!


Wenn dir dieser Beitrag gefallen hat, wird dir auch unser neues Buch VERGEUDE KEINE KRISE! gefallen. Es kommt mit 28 rebellischen Ideen für Führung, Selbstmanagement und die Zukunft der Arbeit.

VERGEUDE KEINE KRISE! gibt es als Taschenbuch, als Kindle-E-Book und auch als Hörbuch.

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