Nach gefühlten 100 Stunden im Wartezimmer darf Peter endlich zum Orthopäden ins Behandlungszimmer. Nach der knappen Begrüßung setzt Peter an, dem über seinen Schreibtisch gebeugten und eifrig schreibenden Arzt zu erklären, wo der Schmerz sitzt. Doch nach anderthalb Sätzen unterbricht ihn der Orthopäde: „Impingement Syndrom! Cortison! Spritze! Können wir gleich machen! Ja oder Nein?“
Äh.
So weit, so normal: Ärzte nehmen sich durchschnittlich neun Minuten Zeit für einen Patienten und unterbrechen ihn nach rund 20 Sekunden, wenn er versucht, sein Anliegen zu schildern.
Als Peter zuhause die Tür aufschließt, kommt ihm Anja entgegen, die gerade vom TRX-Training zurück ist und ansetzt, davon zu erzählen. Doch nach anderthalb Sätzen unterbricht Peter sie: „Du wirst nicht glauben, was ich gerade beim Orthopäden erlebt habe …“.
Äh.
Zuhören ist Hören in Verbindung mit Denken und Konzentration
So ist das! – Nicht nur bei Ärzten und Patienten, sondern auch bei Ehepartnern. Und bei Eltern und Kindern. Und bei Schülern und Lehrern. Und zwischen Verkäufern und Kunden. Und zwischen Chefs und Mitarbeitern. Und … überall. Dem anderen wirklich zuhören, das ist selten. Echtes Zuhören bedeutet, nicht nur Wörter zu hören. Nicht nur nicht zu unterbrechen. Nicht nur ein beiläufiges Kopfnicken. Sondern Konzentration auf den anderen. Ohne Unterbrechung. Ohne Ablenkung.
Dirigent Daniel Barenboim sagt: „Zuhören ist Hören in Verbindung mit Denken und Konzentration. Die meisten Menschen können das gar nicht mehr. Sie machen keinen Unterschied zwischen Hören und Zuhören.“
Ja, es ist anstrengend. Wer zuhört, lässt sich auf den anderen ein. Das setzt voraus, dass er bereit ist, sich auch auf die Perspektive des anderen einzulassen. Zuhören zollt Respekt und lässt eine zwischenmenschliche Bindung entstehen, denn jeder Mensch möchte gehört und verstanden werden.
Echtes Zuhören ist eine Frage der Übung. Und es lohnt sich.
In größerem Rahmen betrachtet ist Zuhören die Basis von Engagement. Zusammenarbeit. Liebe. Gemeinschaft. Aber auch ganz konkret und praktisch die Grundlage von Kundenservice, Verkauf, Kreativität, Innovation und Strategie.
Wenn das so wichtig ist, warum steht es dann in praktisch keinem Unternehmensleitbild? Warum steht es in keinem Arbeitszeugnis und in keiner Stellenausschreibung? Warum steht es nicht auf der Agenda deines nächsten Meetings?
Nicht nur die Wörter verstehen, sondern auch, warum die Wörter gesprochen werden
Ein Vorschlag: Wenn du dem zustimmst, dann probier einfach mal folgendes: Bis zum Ende des heutigen Tages hörst du jedem, dem du begegnest, gut zu. Deinen Kollegen, deinem Partner, deinem Kind. Und wir meinen richtig zuhören: Nicht nur die Frequenz von Luftschwingungen wahrnehmen, nicht nur die Wörter, die gesprochen werden, sondern auch verstehen, warum die Wörter gesprochen werden.
Was du davon hast? – Nun, es werden zwei gewinnen. Du wirst die Welt anders sehen, aus einer anderen Perspektive. Und der andere wird spüren, dass er wahrgenommen wird. Beides zusammen macht die Welt eines Unterschieds!